Sonntag, 5. Februar 2012

Grenzgänger

Copyright (c) Emina Mazak

Nun ist mehr als eine Woche vergangen. Die Percival Rufe sind verhallt – jedenfalls in meinem Radius. Haben Sie etwas anderes erwartet? Was war das eigentlich, eine gut inszenierte Geschichte, Quoten Hype, abgesprochen? Percival ein Opfer der Medien und Machern der Show, oder doch selbst kreiert und mal ehrlich, sieht ein Opfer so aus und verhält es sich so? Für mich nicht, aber ich bin hier sicherlich auch nicht das Maß aller Dinge.  Krokodilstränen direkt nach dem Auftritt, hmm, warum nur habe ich sie nicht geglaubt?  Selbst auf die Gefahr hin, mich äußerst unbeliebt zu machen, keine der emotionalen Momente von Percival empfand ich als authentisch. Keine übermäßige Freude, keine zur Schau gestellte Traurigkeit, Professionalität, Konflikt- und Feedbackfähigkeit, Nähe etc. Drama Baby, Drama. Es gibt diverse Möglichkeiten sich im Gedächtnis der Menschen zu verankern. Drama ist eine Möglichkeit. Er ist / wäre da schon Profi genug, da er das ‚Business‘ gut kennt. 

Es geht mir hier weniger um sein Talent. Dass er singen kann, konnte jeder hören, ob man seine Musik letztlich mag und dafür Geld ausgeben würde ist jedem selbst überlassen. Ich gehöre nicht zur Zielgruppe. 


Es ist kein Geheimnis, dass  ich ein großer Fan von „The Voice of Germany“ bin. Endlich mal eine Casting Show, bei der man sich nicht die ganze Zeit fremdschämen muss, Menschen nicht mit menschenverachtenden Kommentaren zur Prime time beschert werden und die Kandidaten, die Kandidaten sind einfach nur der Hammer. Unglaublich welche schlummernden Talente wir haben. Toll, einfach nur toll! 


Im Falle von Percival fand ich etwas anderes faszinierend. Sein Wesen. Welche Kräfte müssen in ihm mit – bzw. gegeneinander ankämpfen!? Enthusiasmus, Freude, Hoffnung, Verzweiflung, Leidenschaft, Neid; Percival ist ein sehr ‚menschlicher‘ Mensch. Er vermag ad hoc andere für sich zu begeistern und im gleichen Maße abzuschrecken. Er polarisiert sehr und ja, es scheint nur hopp oder top zu geben, dazwischen nichts. Wie verhält es sich mit dem Eigenbild vs. Fremdbild? Reflektiert er ausreichend genug die Rückmeldungen und worauf könnte er aufbauen, als Mensch, nicht als Sänger. Warum sollte ich als Industrie respektive Plattenfirma sehr viel Zeit und Geld in jemanden investieren, der mich null respektiert, wertschätzt und im schlimmsten Falle meine Vorinvestition allein nur durch sein Wesen und Verhalten verspielt. Warum in aller Welt sollte ich das als Management tun und wie kommt es, dass diese Fakten nicht gesehen werden, sondern alles nur persönlich genommen wird?  Könnte das ein Grund sein warum er bis dato nicht in die erste Reihe vorrücken durfte? 


Sein erstes Interview zeigte einen verbitterten, wütenden Mann über die sogenannte Industrie. Ein Mann zu sehen, der gebrochen, müde und frustriert schien. Ich habe das noch sehr gut vor Augen, seine ganze Körperhaltung, Mimik auf Frust und Gram gepolt. Wie viel Kraft muss es fressen, das täglich zu ertragen? Und warum tut man sich das erneut an, was sind die Treiber mich wieder in einen Bereich zu begeben, den ich eigentlich mit jedem Wort ablehne? Was ist so wichtig und unerträglich, dass ich mich erneut dem aussetze und wie viel Stress mute ich mir dabei zu, woFÜR ist das gut? 


Etwas / jemanden so vehement abzulehnen und im gleichen Atemzug anprangern, dass man nicht gesehen, akzeptiert und wertgeschätzt wird, schuldige an dem eigenen Unvermögen suchen. Wer spiegelt hier eigentlich wen und welche Treiber könnten die Ursache dafür sein? Sind die anderen Schuld, dass er jahrelang nur in der zweiten Reihe stehen durfte, wundert das jemand? Sind andere daran schuld, wenn einer wie Percival repetitiv an sich und seinem Ego scheitert. 


Stellen sie sich mal vor, das wäre ihr Mitarbeiter, oder ihr Chef. Welches Vertrauen hätten sie in diesen Menschen, wäre das ein Lieblingskollege, wie wäre die Zusammenarbeit?  Wenn ihr Mitarbeiter / Chef so viel Aufmerksamkeit bräuchte, so viel Bühne und Bedürfnisse gesehen zu werden, wie wäre der Alltag? Also ich stelle mir das nicht entspannt vor. 


Percival hat mein Mitgefühl, mehr habe ich leider nicht. Mir fällt auf, dass er sehr über seine Grenzen geht, auch beim singen. Alle sollen es sehen, allen will ich es beweisen, dass ich der Beste bin. Nun, vielleicht stellt sich die Frage gar nicht. Die Frage ist was er ihnen / uns zeigt; sein Talent oder den Wahnsinn eines Getriebenen. Es scheint keine Grenzen zu geben, erinnere mich an das Battle mit Pamela wo alle so begeistert waren. Ich fand das sehr abschreckend und ja, es war ein Battle; eine Schlacht. Wie das so mit Schlachten und Eroberern aber ist, die wenigsten mögen die Feldherren und Eroberer um sich haben. Laut polternde, nicht zuhörende, nicht begreifende und nicht wertschätzende schon gar nicht. 


Stelle ich mir vor, dass das mein Mitarbeiter wäre, dann könnte ich wahrscheinlich nichts anderes mehr machen außer den ganzen Tag Schadensbegrenzung zu betrieben: „…er meint es nicht so, er ist hochsensibel, ja er ist etwas anders aber er kann viel usw. Übrig bliebe der  fade Beigeschmack des Wahnsinns, der erste Eindruck und eine irritierende Wahrnehmung seiner Grenzgänge. Eines besessenen, beratungsresistenten, sich verrennenden Talentes der wie eine Kerze ist, die an beiden Enden brennt. So jemand bräuchte eine Einzelbegleitung, wäre betreuungsintensiv sofern überhaupt möglich, denn er würde sich wahrscheinlich auch noch offenen Auges in eine Trotzreaktion respektive soziale Isolation katapultieren. Für mich persönlich ist klar, warum er die letzten Jahre stimmlich nur begleiten durfte. 


In der Tat glaube ich, dass er ein hochsensibler und sehr einsamer Mensch ist, aber auch dass diese Gabe wahrscheinlich am Meisten zum Vorschein kommt, wenn es um seine eigenen Bedürfnisse geht. Auch dafür könnte es Gründe geben; ein letztes Aufbäumen bevor man resigniert, wirtschaftlicher Druck, Selbstwert, Selbstwirksamkeit uvm. Das ist alles legitim und kenne wir auch alle, mal mehr, mal weniger ausgeprägt. Die Kunst ist das was man ist, was man kann so dosiert einzusetzen, dass es andere nicht vor den Kopf stößt, oder sogar abschreckt, da keiner wirklich sagen könnte wohin es führen würde. Ich glaube hier liegt letztlich die Ursache seines bisherigen Misserfolges und so sehr ich ihm seine Erfolg wünsche, auch künftig wird sich daran wenig verändern – solange er unberechenbar bleibt und solche Wandlungswiderstände an den Tag legt. Und mal ehrlich, wer will und kann auf Dauer so jemanden neben sich haben. Nur jemand der so tickt wie er, auch ein mentaler Grenzgänger ist. Dann mag sich das sogar pushen, in guten Zeiten wird sich das anfühlen wie ein Tag im Phantasialand, in schlechten wird sich das aber gegenteilig erweisen. Ich bin froh nicht dazu zu gehören. Welch ein Stress, welch eine verzerrte Eigenwahrnehmung, welche Selbstüberschätzung, welche Energieverschwendung. Kein Gespür für sich, eigene Grenzen geschweige denn, die der anderen. Anstrengend. Sehr anstrengend. 


Wenn ich wieder an das erste Interview denke, wundert es mich überhaupt nicht, dass Mimik, Gestik, Haltung diese Müdigkeit, Stress und Druck zeigten. Es schwappte sogar auf die Geisteshaltung über und mündete in den gesprochenen Worten. 


Er hat sich auf eine Bühne begeben, die keine Gnade kennt. Nichts ist so vergänglich geworden wie Musik. Im Zeitalter von Apss, Smartphones hat der Künstler seine Daseinsberechtigung verloren, er ist nunmehr genau 0,99€ wert. Es gab eine Zeit da wurde dieses Talent gewürdigt. Monatelange Arbeit des Liedermachens, der haptischen Erfahrungen, wenn man eine Schallplatte auspackte und mit den Sinnen erfahren durfte; spüren, riechen, hören und die Bilder, die beim Hören entstanden sehen... Alles weg. Geblieben ist ein virtueller Warenkorb mit Downloadlink; austauschbar, ein Speicherplatz Beleger. Schade, sehr schade. 

Was hat das alles mit Burnout und Erschöpfung zu tun? The Voice of Germany und Persival in der Tat wenig und doch ganz viel. Es hat etwas mit Kräften, dem gesunden Einsatz von Energie, wie viel Aufwand betreibe ich mit was und wie viel bekomme ich zurück, wenn überhaupt. Gebe ich immer nur und es kommt nichts zurück, oder reicht es mir nur nicht. Wenn es nicht reicht, warum reicht es nicht, was könnten die Gründe sein und was sagt so etwas über meine Bedürfnisse aus? Was erkenne ich an meinen Mustern, warum passiert 'mir' das immer wieder, warum bin ich immer so geschlaucht, wie gehe ich mit dem Erkannten um, was lerne ich für mich daraus, um morgen andere Entscheidungen treffen zu können? Genau darum geht es während einer persönlichen Erschöpfungsphase, einem Grenzgang zu erkennen, lernen und neu (besser) entscheiden können.  Wo ist eigentlich meine Grenze, wie erkenne ich, wie erkennen sie andere?

Möge er seinen Frieden finden, primär mit sich, seinem gesunden Einsatz seiner Kräfte. Die hat er unbesehen, all das was ihn ausmacht kostet viel Kraft und scheinbar kann er sie noch abrufen. Ich wünsche ihm, dass er seine Quelle und Ressource finden, aus der er Kraft schöpfen kann und sich Zeit geben, um im Hier und Jetzt zu reflektieren, sowie zu verstehen warum das Leben ihn immer wieder an die gleiche Stelle führt, er daraus erkennt UND lernt. Erst dann werden andere Türen aufgehen, oder vielleicht sollte er alternativ begleitend auch nach anderer professioneller Hilfe Ausschau halten und damit ist kein Vocal Coach gemeint.

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