Dienstag, 13. September 2011

Es klingelt im Ohr ...

(anonym)

Meine mentale Erschöpfung begann noch vor der Geburt meines Sohnes. Burnout war mir kein Begriff. Ich heiratete und nach 3 Jahren wurde ich endlich schwanger. Endlich das ersehnte Enkelchen. Das hatte mich sehr belastet. Unsere Familien waren immer nett, aber diese Enttäuschung über die fehlenden Enkelkinder kaum zu ertragen. Sie übten einen sehr hohen Druck aus und ich glaube, dass ich wegen des Druckes nicht schwanger wurde.  Meine Beziehung zu meinem Mann war dadurch angespannt und wir stritten oft. 

Erste sichtbare Anzeichen meiner Erschöpfung waren wochenlanger Schlafmangel, tiefe Unruhe und leichte Reizbarkeit, jedes Wochenende (nur dann!) Migräne und konkret mein erster Hörsturz. 


Den Schlafmangel erklärte ich damit, dass kleine Kinder anstrengend sind und andere in dieser Zeit auch bestimmt wenig, oder kaum schliefen. Unruhe und leichte Reizbarkeit schob ich auf den Schlafmangel. Es war wie in einem Wattebausch, gepuffert, dumpf und merkwürdig weit weg. So habe ich mich da Schritt für Schritt selbst reingeritten. Für meinen Mann war Erziehung Frauenarbeit. Es kam wie es kommen musste. Die existentielle Angst, der Frust meines Mannes über eine Arbeitslosigkeit führten dazu, dass wir uns immer mehr stritten und entfremdeten. 
Nach dem Hörsturz habe ich alles radikal umgestellt, was natürlich zu noch mehr Stress führte. Mein Mann war komplett überfordert, meinte ich solle mich 2 Wochen krankschreiben lassen, oder in Kur gehen. Der Junge käme so lange zu Oma und Opa. Regelwerke, funktionale Regelwerke. Ein paar Wochen Auszeit wären ja wohl ausreichend um wieder fit zu werden. Ihn würde ja auch keiner Fragen, wie es ihm ginge, er habe auch Stress und er wäre auch nicht krank. 

Ich kann mich erinnern, dass mich die Worte kaum mehr erreichten. Es fühlte sich an, als wäre ich gar nicht da, ein ausgeleiertes Gerät, das nachjustiert werden sollte. Ich erkannte den Mann der zu mir sprach, aber ich kannte ihn nicht mehr. Was passiert mit uns, was passiert mit mir? Ich war müde, mein Körper so schwer, alles zog nach unten, jede Aktivität und wenn sie noch so klein war, eine große Anstrengung. 

Die ersten Tage der Kur habe ich nur geschlafen oder geweint und konnte noch nicht einmal erzählen warum. Irgendwann hatte ich noch nicht mal mehr Tränen. Wen interessierte das auch schon? Wenn ich die Geschichten der anderen hörte; seit Jahren alleine, Alkohol, Tabletten, Zigaretten, Essstörungen, Trennungen, Selbstmordversuche. Dann komme ich mit meinen kleinen Problemen daher. Ich kam mir so lächerlich vor und wusste nur, ich bin ganz allein und daran würde sich nichts ändern.

Nach 6 Wochen schrittweise Reintegration in den Alltag. In der Schule gab es immer mehr Stress. Mein geliebter Beruf entwickelte sich zum Albtraum, es interessierte niemand wie ich zurechtkam. Weder die Kollegen, die Schüler, die Schule geschweige denn die Eltern. Schlimm waren auch einige Kollegen, sie fingen an zu tuscheln. Ein Kollege meinte er wäre es leid permanent meinen Unterricht mit übernehmen zu müssen.

Es wuchs mir über den Kopf, wach sein, unterrichten, Arbeiten korrigieren, Zeugnis Konferenzen. Ab nachmittags Haushalt, Mutter und Ehefrau sein, die Sorge um unsere Existenz, von Ehe war keine Rede mehr.  Mein Sohn tat mir leid, ich versuchte meine letzten Kräfte zu mobilisieren und viel Zeit mit ihm zu verbringen. Wenigstens er sollte von meinen Problemen nichts mitbekommen. Was natürlich nicht ging. Er hat sehr feine Antennen und auf Dauer konnte ich es nicht verheimlichen.

Ich wurde richtig krank, eine normale Sommer Erkältung die sich über Wochen hinzog und einfach nicht verschwinden wollte, warf mich komplett aus der Bahn. Ich bekam einfach keine Luft mehr. Auf der anderen Seite war es wie ein Geschenk. Ich war krank, endlich einfach nur krank. Bei Nachfragen konnte ich mit verschnupfter Nase, rauem Hals ans Telefon. Jeder kannte die Situation. Kein Wort darüber, ob ich schlecht drauf, oder depressiv sei. Einfach nur eine Erkältung. Nichts Auffälliges. Tagsüber schlief ich fast nur, nachts bekam ich kein Auge zu und wanderte unruhig im Haus herum. Alles verschob sich. Mein Mann und ich stritten nur noch, sodass er zwischenzeitlich zu seinen Eltern zog. Unseren Sohn nahm er mit. Ich ließ alles um mich geschehen, saß mutterseelenallein in unserem Haus und alles schien so weit weg und fremd. Es war wie ein schlechter Film.

Der Arzt überwies mich an eine Psychologin mit der ich nunmehr seit 2 Jahren meine ‚Geschichte‘ aufarbeite. Mir wurde einiges über meinen gewählten Beruf klar und warum ich ihn ergriff. Heute weiß ich, dass es eher die Bewunderung für meine Eltern war und dass ich meinen Eltern gefallen wollte, auch mit der Ehe und dem Haus.  Heile, heile Gänschen… Auch mein Bild nach außen, meine Muster konnte ich sehr gut aufarbeiten.  Was mir geblieben ist mein Sohn, er gibt mir Kraft, alle anderen entziehen sie.

Ich bin seit ein paar Monaten geschieden, das Haus haben wir verkauft und ich bin mit meinem Sohn umgezogen. Wir leben jetzt in einer kleinen Wohnung, es ist übersichtlich geworden, damit kann ich besser umgehen.

Ich arbeite nur noch 24 Stunden die Woche. Es war ein sehr langer, steiniger Weg. In den Beruf zurückzukehren war schwer. Lautstärke, schnelle Bewegungen sind für mich immer noch mit viel Stress verbunden. Der Gang aus dem Haus, insbesondere der Schulhof jedes Mal eine Überwindung. Langsam lerne ich mit meiner Angst und den Panikattacken umzugehen. Wie lange ich das aushalte, wie lange ich noch arbeiten kann weiß ich nicht. Immer wenn der Druck und Stress steigen höre ich allerdings auf meine Alarmanlage; das Klingeln in meinem Ohr.

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