Samstag, 12. November 2011

"... wenn ich dann noch da bin"

     
     (C) Foto - Emina Mazak

Einen Menschen der Familie zu sehen, wie er um jeden weiteren Lebenstag kämpft ist schwer. Ein kranker Mensch in der Familie rückt unser Wertesystem zurecht. Dinge verschieben sich und bekommen eine andere Gewichtung. Erdung und Entschleunigung stehen im Fokus. In unserer gehetzten Zeit, wird verbleibende Zeit auf einmal spürbar und das kostbarste was es geben könnte. Wie viel Zeit bleibt noch, was noch zu besprechen, woran noch zu erinnern, worüber zu lachen, worüber zu weinen, worüber noch unbedingt auszutauschen und vielleicht auch nur schweigend im Garten andenken,  wie man den Garten im Frühjahr anlegen könnte. Mit einem kleinen Nachsatz; „wenn ich dann noch da bin…“ 

Die Endlichkeit unseres Lebens, das Reflektieren des eigenen Lebens rücken in den Vordergrund. „Irgendwie wurde es früher nicht so früh dunkel, oder?“ Eine gäbe alles für etwas mehr Zeit, noch die helle Zeit wiedererleben. Längere Tage, Licht und Sonne, die gesetzten Blumenzwiebeln aufblühen sehen… Banalitäten, aber sie stehen für Leben, einfach nur Leben. 
Wir anderen scheinen unfassbar viel Zeit zu haben uns damit zu beschäftigen, dass wir eigentlich keine Zeit haben und merken selten, wie viel wertvolle Zeit wir uns damit stehlen. Ein bewusstes erleben, dass Zeit endlich ist und es sonst niemand interessiert wie viel wir davon haben, solange es uns gut geht. Zeit wird scheinbar immer nur wichtig, wenn sie limitiert ist. Warum ist das eigentlich so?

Einen Menschen in seiner letzten Lebensphase zu begleiten, bringt nicht nur zeitliche Aspekte mit sich. Am Ende wird man feststellen, man hat die vorhandene Zeit nicht gut genutzt, es hätte mehr geben sollen, man hätte es anders machen können... Es ist eine sehr intensive Zeit, die Dinge nicht nur zu Recht rückt, sondern uns näher rücken lässt.

Eine für alle anstrengende Zeit. Die eine Seite will nicht zur Last fallen, stark sein damit es den anderen leichter wird. Die andere Seite ist geduldig, rücksichtsvoll, will einfach nur da sein, Zeit miteinander verbringen, dusselige Weihnachtsplätzchen backen, damit nicht dieses unausgesprochene – wie lange noch - im Raum bleibt. „Falls du mal die Rezeptbücher von mir und der Oma suchst, die sind dort hinten in der Schublade…“ Die Nachricht subtil, aber eindeutig.

Private Sorgen, Probleme und Einschnitte können sehr belasten. Egal wie gut man sich zeitlich organisiert. Emotional können wir uns nicht organisieren, Trauer lässt sich nicht regeln, man kann sich auf einen Abschied auch nicht wirklich vorbereiten. Man nimmt diese Gedanken auch unbewusst überall mit hin. Zum Einkaufen, zur Arbeit, im Bus, in der U-Bahn, in der Dusche… 


Der direkte Einfluss auf unser Umfeld ist groß und hat immer auffällige Auswirkungen. Einige werden lauter, andere leiser, einige werden selbst krank, andere geben noch mal alles, nur um nicht darüber nachdenken zu müssen, einige ziehen sich sozial zurück, andere nehmen jedwede Gelegenheit wahr, nur um nicht alleine zu sein, einige machen auf der Arbeit nur noch Fehler, obwohl sie ihre Arbeit sonst im Schlaf erledigen, andere kontrollieren sich zu Tode usw. 
Dinge verändern sich, Werte verändern sich, nur die Zeit bleibt. Für die einen läuft die Zeit ab, für die anderen bleibt sie scheinbar bestehen. Hinterher hecheln, immer in Eile sein, nicht zur Ruhe kommen, Konzentrationsstörungen, immer auf den letzten Drücker, oder ewiges Trödeln, nicht smehr geregelt bekommen da alles auf einmal so lächerlich banal erscheint, ein unbedachter Moment, eine unglückliche Verkettung von unterschiedlichen Faktoren.

Gestern Abend las ich, dass ein Zwillings Geschwisterpaar tödlich verunglückt ist. Ein Abend wie jeder andere und vorher wahrscheinlich hunderte Male so abgelaufen. Tagsüber arbeiten, schnell noch was Essen, der Familie tschüss sagen, den Bruder einladen, zum Sport fahren… Auf einmal  alles vorbei. Schrecklich, einfach nur schrecklich. 

Mögen wir bewusster mit unserer Zeit umgehen und sie so einsetzen, dass wir sie als Geschenk annehmen können.  Mögen wir vor allem uns die Zeit für uns nehmen, wir, die den ganzen Tag versuchen mit der Zeit zu jonglieren.

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